Sie sind sehr häufig in der Altersgruppe bis zum 16. Lebensjahr – mehr als jedes zweite europäische Kind erleidet ein Zahntrauma, bevor es das 16. Lebensjahr erreicht. Dabei kommen Milchzahnunfälle etwas öfter vor als Traumata im bleibenden Gebiss.
Es gibt im Prinzip zwei Dinge, die bei einem Zahnunfall passieren können: Entweder der Zahn bricht, das ist die Gruppe der Frakturen (Abb. 1), oder aber er wird in seiner Position verschoben, das ist die Gruppe der Dislokationen (Abb. 2).
Abb. 1 Kronenfrakturen 13-21: An Zahn 11 kam es zu einer Pulpaexposition.
Abb.2 Laterale Dislokation: Die Zähne 52 und 11 sind nach palatinal disloziert. Die Wurzelspitze des Zahnes 11 ist bukkal am Alveolarfortsatz als Vorwölbung palpierbar.
Aus: Krastl, G, Weiger R, Filippi A, Therapieoptionen für die Praxis, Quintessenz Verlag, 2020
Die wichtigsten Schritte sind: den Unfallhergang ermitteln, eine gute Dokumentation – unser Zahnunfallzentrum in Basel hat dafür einen praktischen Trauma-Chart veröffentlicht, Fotos von bukkal und von inzisal. Generell richtet sich die Erstbehandlung sehr stark nach dem Verletzungsmuster, also welche Gewebe wie stark betroffen sind.
Zunächst muss ein Schädel-Hirn-Trauma ausgeschlossen werden – das gehört zu jedem Unfall dazu. Erst dann kann sich den Zähnen zugewandt werden.Bei Patienten über zehn Jahren ist zudem die Tetanus-Immunität abzuklären.
Sechs Dinge sind Pflicht: eine Zahnrettungsbox, monofiles Nahtmaterial, ein Calciumhydroxidpräparat zur Abdeckung von freiliegender Pulpa, ein Material zum Ätzen, ein dünnfließendes Komposit und die TTS-Schiene (Titanium-Trauma-Splint; Abb. 3), um gelockerte und verschobene Zähne schienen und reponieren zu können.ner Position verschoben, das ist die Gruppe der Dislokationen (Abb. 2).
Abb 3a.Situation nach Dislokation Zahn 11 und Avulsion zahn 21
Abb 3b.Fixierung der TSS-Schiene mit Flowable-Komposit an den nachbarzähnen, am repositionierten Zahn 11 und am replantierten Zahn 21.
Aus: Krastl, G, Weiger R, Filippi A, Therapieoptionen für die Praxis, Quintessenz Verlag, 2020)
Es gibt einige klare Regeln, wie man sich nach einem Unfall am Unfallort zu verhalten hat.Diese Empfehlungen sind für das Milchgebiss etwas anders als für das bleibende Gebiss.Sie sollten von der Aufsichtsperson – zum Beispiel in der Schule, im Schwimmbad – beziehungsweise den Eltern/der Begleitperson umgesetzt werden.
Bei einer Kronenfraktur muss das Bruchstück gesucht und zum Zahnarzt mitgebracht werden. Bei Dislokationsverletzungen sollte nicht versucht werden, den verschobenen Zahn zu reponieren. Bei Avulsion (ausgeschlagener Zahn) muss der Zahn so schnell es geht gefunden werden, um ihn möglichst in eine Zahnrettungsbox zu legen, alternativ kann er auch in kalte Milch eingelegt oder in Frischhaltefolie eingewickelt werden. Dann sollte direkt der Zahnarzt aufgesucht werden.
Auf der Homepage unseres Zahnunfallzentrums unter zahnunfallzentrum.ch können Poster zum Verhalten am Unfallort heruntergeladen werden.
Es gibt grundsätzlich fünf Gewebe, die bei einem Zahnunfall völlig unabhängig voneinander verletzt werden können und deren Therapie nichts miteinander zu tun hat. Das sind: der Zahn – Schmelz, Dentin, Wurzelzement, die Pulpa, das Parodont, der umgebende Knochen und die umgebenden Weichgewebe. Wichtig ist es, das Verletzungsmuster am Unfalltag wirklich gut zu erfassen. Die Strategie lautet stets: Ein verletztes Gewebe braucht meine Hilfe, ein unverletztes Gewebe braucht mich nicht.
Prinzipiell ist alles möglich – an erster Stelle steht der Zahnverlust. Auch bei korrekter Erstversorgung kommt es häufig zu Spätfolgen der Pulpa und des Parodonts. Bei der Pulpa ist es oft die Pulpanekrose mit nachfolgender apikaler Parodontitis. Sehr unangenehm ist die Pulpanekrose-assoziierte infektionsbedingte Wurzelresorption. Klassische Spätfolgen bei Verletzung des Parodonts sind die Ankylose und die Ersatzgewebsresorption.bene Zähne schienen und reponieren zu können.ner Position verschoben, das ist die Gruppe der Dislokationen (Abb. 2).I
Der Zahnarzt muss sich vor der Behandlung fragen, ob seine Maßnahmen eher nützen oder schaden. Beispielsweise ist abzuwägen, ob ein verunfallter Zahn mit Lockerungsgrad I wirklich von einer Schienung profitiert oder ob die Schiene der parodontalen Heilung schadet. Und nützt es dem Unfallzahn tatsächlich, wenn ich ihn nach sechs Monaten trepaniere, weil er noch nicht auf den Kältetest reagiert? Für diese Abwägungen ist ein breites Wissen nötig.
Wir haben die AcciDent-App für Smartphones entwickelt, dort kann der Zahnarzt sich beispielsweise informieren, wenn der Patient bereits auf seinem Stuhl sitzt. Zudem gibt es in der App interaktive Tools, Videos etc.
Auf meiner Homepage können viele PDFs heruntergeladen werden, unter anderem auch unser Befundbogen und ein Informationsblatt, wie man sich nach einem Zahnunfall verhalten sollte.
Das Interview erschien in QDent 4/2020 und wurde veröffentlich in den News von Quintessenz.